Mein Hund oder der Alkohol!

Als er als kleiner Welpe zu mir kam, hatte er Angst vor der Welt. Alles war zu groß, zu schnell, zu laut und zu viel. So ähnlich ging es mir zu dem Zeitpunkt mit meinem Leben. Ich hielt eisern daran fest wie es einmal war und merkte doch wie es mir täglich mehr und mehr entglitt.

Während er also vor Angst zitternd keinen Schritt nach draußen machte, griff ich jeden Abend zur Flasche, weil ich Angst hatte und Gefühle, die so groß waren, dass ich nicht wusste, wie ich sie anders bewältigen sollte.

Ein Teil von mir hatte gehofft, dass mit ihm alles besser werden würde und ich dann keinen Grund mehr zum Trinken haben würde. Oder besser, endlich einen triftigen Grund zum Aufhören hätte. Er sollte mein Retter sein, mein Lichtblick im tiefen Tunnel der Depression und Alkoholsucht. Jeden der Ähnliches hofft, muss ich leider enttäuschen. So funktioniert es leider nicht mit diesen Dingen. Die plötzliche Wunderheilung durch den Hund ist nicht eingetreten (die musste durch mich selbst kommen). Es war vor allem zu Beginn nur eine weitere Mammutaufgabe mehr, die ich meinem ohnehin schon überforderten Ich auferlegte.

Das soll nicht falsch verstanden werden. Ich hatte mir über Jahre einen Hund gewünscht und meine Entscheidung mehr als gründlich durchdacht, bevor ich ihn zu mir geholt habe. Ich war bereit diesem Hund alles zu geben! Ich möchte aber auch nicht leugnen, dass die kleine Hoffnung der Wunderheilung trotzdem bestand.

Tatsächlich waren die ersten Wochen und Monate eine riesige Herausforderung und eine unglaubliche Belastung. Ich würde es zwar jederzeit wieder für ihn tun, aber ich wünsche mir die Zeit wirklich nicht zurück! Der Kleine wurde mit sechs Wochen mit seinen Geschwistern alleine auf der Straße gefunden. Er kannte nichts und fürchtete alles. Er brauchte Zeit und ich machte mir selbst Druck, weil ich wusste, dass die Zeit begrenzt war, bis wir zusammen in die große Stadt zu meiner Arbeit fahren müssten. Vor allem das Autofahren löste in ihm die ersten Monate eine so riesige Panik aus, dass er sich teilweise übergeben musste, bevor ich den Motor überhaupt angemacht hatte. Irgendwann war meine Verzweiflung mit seiner Angst vor dem Autofahren so groß, dass ich mindestens genauso panisch wie mein Hund zu meiner Tierärztin ging und um Rat fragte. Zu dem Zeitpunkt war ich noch immer allabendliche Weintrinkerin/Emotionales Wrack. Sie meinte unter anderem, ich solle mal ein Glas Wein trinken und mich mit ihm dann ins Auto setzen (natürlich ohne zu fahren), damit ich meine eigene Anspannung in den Griff bekomme. Der Satz ist mir im Gedächtnis geblieben, weil sie damit unwissentlich einen Vorschlag gemacht hatte, der unpassender nicht hätte sein können für meine damalige Situation.

In einem hatte sie aber Recht. Ich hatte hier einen hypersensiblen und unsicheren Hund, der sich in seinem Verhalten und seinen Gefühlen unglaublich an mir orientierte und meine Gefühle waren „all over the place“! Meine Anspannung, mein Selbsthass, meine Verzweiflung und Überforderung wirkten sich direkt auf ihn aus und hinderten ihn daran seine Ängste zu überwinden. Um ihm zu helfen, würde ich zuerst mir selbst helfen müssen.

Verdammt, das hörte sich nach Arbeit! Und das ist es ganz ehrlich noch immer. Ich habe den Absprung vom Alkohol geschafft. Für mich und für ihn. Er hat gelernt Auto zu fahren ohne in Panik zu geraten. Für ihn und für mich. Stehen meine Gefühle mir noch im Weg und nehme ich mir Sachen zu schnell zu Herzen? Ja! Eindeutig! Führt seine Unsicherheit ihn noch zu Übersprunghandlungen und dummen Entscheidungen? Auf jeden Fall! Aber wir arbeiten daran. Gemeinsam. Vielleicht hat sich die Hoffnung doch ein wenig bewahrheitet. Vielleicht haben wir uns doch gegenseitig gerettet.


Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s