„Die Dosis macht das Gift“

„Die Dosis macht das Gift.“

Diesen Satz lese ich immer wieder. Meist unter Beiträge gesetzt, die Alkoholkonsum kritisieren, dient er den Trinkenden gerne dazu den lieben Alkohol wieder ins rechte Licht zu rücken.

„Ein Glas Rotwein am Tag ist doch gesund! Habe ich gehört…irgendwo. Da gibt es Studien!!“ Dass es ein Glas Traubensaft am Tag ebenso tun würde, sparen die Studien gerne aus. Schließlich ist das für den Weinverkauf wenig förderlich.

„Die Dosis macht das Gift“

In diesem Satz schwingt auch gleich noch die schöne Kritik mit, dass man selbst Schuld ist, wenn man eine Abhängigkeit entwickelt. Das Problem kann unmöglich bei der abhängigmachenden Substanz Alkohol liegen, nein, das Problem liegt beim Konsumenten, der sich einfach nicht an die richtige Dosis hält. Wäre das Problem beim Alkohol zu finden, wäre das gar nicht schön für die Verkaufszahlen.

Je länger ich über diesen Satz nachdenke, desto mehr ärgert er mich. Die Dosis macht das Gift. Bei Salz oder Wasser lasse ich diesen Satz gerne gelten, beim Alkohol stößt es mir aber bitter auf. Schon ein einziges Glas Alkohol ist schädlich für die Gesundheit. Es wird einen schätzungsweise nicht umbringen, das tut eine Zigarette auch nicht und doch habe ich den Satz noch nie im Zusammenhang mit Tabakkonsum gehört. Ist im Übrigen immer ein guter Test um Glaubenssätze zu Alkohol zu testen. Alkohol mal mit Zigaretten ersetzen und gucken ob es sich immer noch richtig anhört.

Bei Alkohol ist es nun mal so, dass der Alkohol das Gift macht, da der Alkohol nun mal das Gift ist.

Ob man ihn nun trinkt oder nicht darf jeder mit sich selbst ausmachen, man sollte nur nicht der Illusion erliegen, dass man dem Körper damit nicht schaden würde.

Morgen-Ich zu Abend-Ich.

Alkohol

raubt dem

Morgen

das Glück!

Während ich noch getrunken habe, war der Morgen eines jeden Tages eine schreckliche Tortur. Ein wirklich schlimmer Kater mit Kopfschmerzen und Übelkeit ereilte mich meistens zwar nur noch, wenn ich die Weinsorte wechselte, deutlich über meine Toleranz trank oder zuvor ein paar Tage mit dem Trinken ausgesetzt hatte, trotzdem zahlte ich den Preis für die ein einhalb Weinflaschen des Vorabends!

Eigentlich verlief jeder Abend gleich. Ich torkelte nach ein einhalb Flaschen Wein ins Bett, die quälenden Gedanken endlich betäubt – zumindest hoffte ich das – und hatte teilweise trotzdem Probleme einzuschlafen. Zur magischen Stunde des Alkohols um drei Uhr nachts wachte ich auf, nur um dort schon anzufangen den Vorabend zu bereuen und mir Vorwürfe zu machen. An wirklichen Schlaf war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zu denken. Wenn der Wecker morgens um sechs Uhr klingelte, war ich alles andere als bereit mich dem neuen Tag und meinem Leben zu stellen. Der Zwiespalt in mir war irgendwann so groß, dass es mir vorkam als hätte ich zwei vollkommen unterschiedliche Persönlichkeiten. Das nüchterne Morgen-Ich und das alkoholsüchtige Abend-Ich.

Mein Morgen-Ich war voller Selbsthass und verzweifelt vor Angst vor dem kommenden Abend. Denn mein Morgen-Ich war sich meiner Situation sehr bewusst und versuchte alles was ihm einfiel, um mich auf den Abend vorzubereiten und stark zu machen gegen den Alkohol. Es schrieb Nachrichten an das Abend-Ich und verteilte sie im Haus. Schrieb Erinnerungen ins Handy und nahm Videos auf mit der Bitte die Hände vom Alkohol zu lassen. Es schüttelte den übrigen Alkohol im Haus in den Ausguss, auch wenn es schon ahnte, dass am Abend neuer gekauft werden würde. Trotz aller Verzweiflung und allem Selbsthass, war mein Morgen-Ich auf seine Weise stark und gab die Hoffnung nie vollkommen auf. Es kämpfte für einen besseren Morgen! Ganz gleich wie oft wir am Abend wieder scheiterten. Mein Abend-Ich kämpfte auf seine Weise. Mal mehr, meistens weniger. Deshalb habe ich mir lange Vorwürfe gemacht. Heute weiß ich, mein Abend-Ich war nicht das Böse in diesem Kreislauf, der sich Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat wiederholte. Der Alkohol war der Böse! Ich kämpfte alleine gegen eine Sucht und dieser Kampf wurde erst leichter, als ich merkte, dass ich in meinem Kampf doch nicht so alleine war.

Heute kann ich es noch immer nicht glauben wie wunderschön der Morgen sein kann. Sicher bin ich an Tagen wacher und ausgeschlafener als an anderen, aber ich habe meinen Morgen wieder ganz allein für mich. Ich bin in mir einig. Ohne Selbsthass, ohne Zwiespalt, ohne Verzweiflung und Überforderung vom Leben. Ich versuche meinen Morgen in vollen Zügen zu genießen und jeden Morgen flüstert mein Morgen-Ich meinem Abend-Ich ganz leise ein „Danke“ zu!

Von toxischen Beziehungen!

101 Versuche


… die ich unternommen habe, bevor ich bereit war mit dem Alkohol Schluss zu machen!

Als meine Beziehung mit dem Alkohol mehr und mehr in die Brüche ging und ich das Gefühl bekam, dass er mir mehr nahm als er mir geben wollte, war ich noch lange nicht bereit den Schritt zu gehen diese Beziehung für immer zu beenden. Hier stand ich in einem Meer aus Scherben der hunderten geleerten Weinflaschen und war bereit für unsere Beziehung zu kämpfen und sie vor mir und der Welt zu verteidigen solange es mir irgendwie möglich war!

Es war schließlich nicht immer so! Wir hatten auch gute Zeiten! Richtig gute Zeiten! Wir hatten so viel Spaß gemeinsam! Auch, wenn ich zugeben muss, dass ich mich nicht mehr an alles davon klar erinnern kann, so bin ich mir sicher, dass es richtig gute Zeiten waren! Viele Jahre hat der Alkohol mich durch meine Jugend und meine Studienzeit begleitet. Wir haben so viel Großartiges und Schweres gemeinsam erlebt und durchstanden. So viele gemeinsame Freunde gefunden, auf Konzerten die Nächte durchgetanzt. Wir waren ein tolles Paar! Bis wir es nicht mehr waren.

Sicher, in den letzten Monaten und Jahren hat einiges begonnen zu bröckeln, wir hatten viele Abstürze und verbrachten zu viel Zeit miteinander, aber solche Probleme gibt es doch in jeder Beziehung. Wenn wir uns nur richtig anstrengen, dann kommen wir wieder zu unserer alten glorreichen Zeit zurück. Und mit wir, meine ich mich. Denn ich bin schuld an diesem Problem. Ich muss die Schuldige sein, denn alle anderen haben augenscheinlich eine normale Beziehung mit ihm. Ich wollte immer mehr und mehr und habe begonnen seine Liebe Tag für Tag aufs Neue einzufordern. Ich muss die Schwache in unserer Beziehung sein. Ich kann nicht Nein sagen und mit ihm umgehen wie man es „normalerweise“ tut. Der Fehler muss bei mir liegen und nicht bei der Substanz, die ich meinen Freund nenne.

Also habe ich alles versucht was in meiner Macht stand, um uns wieder normal zu kriegen. Ich sagte mir, wenn wir unter Freunden sind, dann ist es sicher zu trinken. Das hat uns immer viel Freude bereitet. Als die Freunde nach meinem Umzug in eine neue Stadt zu weit weg waren, entschied ich mich, dass telefonieren doch quasi das gleiche war. Also rief ich fortan jeden Abend jemand anders an, um einen Grund dafür zu finden die nächste Weinflasche zu öffnen. An den Abenden, an denen ich niemanden erreichte, dachte ich mir irgendwann, der Wein ist schon gekühlt, die Arbeit war anstrengend, ein Glas habe ich verdient. Dass es nie bei einem Glas blieb, ist wahrscheinlich überflüssig zu erwähnen. Zur Schadensbegrenzung kaufte ich meinen Wein nur noch von Tag zu Tag ein, damit ich nicht zu viel trinken würde und am nächsten Tag noch arbeiten könnte. Außerdem wollte ich mir die Möglichkeit offenhalten am nächsten Tag nichts zu trinken. Diese Hoffnung schwand jedoch täglich spätestens um 21:30 Uhr und ich rannte noch schnell zur Tankstelle, um mich einzudecken.

Sehr erfolgreich waren meine Versuche unsere Beziehung zu normalisieren also nicht. Und so tat ich das einzig logische, dass mir zu diesem Zeitpunkt einfiel. Ich versteckte unsere Probleme. Ich hörte auf vor anderen zu trinken und wartete bis ich alleine zu Hause war. Ich versteckte meinen Flaschenmüll, kaufte jeden Abend woanders ein, um nicht aufzufallen und wurde mit all dem nur noch unglücklicher und einsamer. Wenn andere meine Probleme nicht vermuteten, dann konnte ich mir vielleicht noch ein wenig länger einreden, dass sie nicht da waren.

Irgendwann waren meine Tage nur noch erfüllt von Zwiespalt, Selbsthass und der Angst vor dem Abend. Angst davor was ich mir jeden Tag aufs Neue antat und wie es weitergehen würde. So sehr mich diese Gefühle auch erfüllten und von Innen auffraßen, hielt mich meine Angst trotzdem davon ab mir Hilfe zu suchen. Ich hatte zu sehr Angst vor dem Stigma des Alkoholikers. Also nahm ich jeden Tag all meine Kraft zusammen und spielte der Welt weiterhin mit einem Lächeln vor, dass es mir gut ging. Ich stand früh auf, kümmerte mich um den Hund, ging zur Arbeit und verschleierte was ich mir jeden Abend antat. Bis ich es nicht mehr konnte. Bis ich es nicht mehr wollte.


Ich kann heute nicht mehr sicher sagen was genau es war, weswegen ich es am 19. Juni 2020 schaffte „Nein“ zu sagen. Und den Tag darauf…und den Tag darauf. Ich weiß aber mit absoluter Sicherheit, dass es das schwerste und gleichzeitig befreiendste war, dass ich in meinem Leben jemals getan habe. Der Moment, an dem ich endlich die Kraft aufbringen konnte, mit dem Alkohol Schluss zu machen, war die größte Liebeserklärung an mich selbst.